Manchmal ist alles sinnlos ....
Blacky
An einem Mittwoch im März rief mich eine der Damen an, die regelmäßig auf dem Melatenfriedhof die dort lebenden, halbwilden Katzen füttert. Sie bat dringend um Hilfe, da eine der Katzen nun schon seit mehreren Monaten nicht mehr richtig fressen könne, sabbere, struppiges Fell habe und total abgemagert sei.
Etwas verwunderte mich zwar der Anruf, da der Melatenfriedhof von einem anderen Kölner Tierschutzverein betreut wird, ich vereinbarte aber mit der alten Dame für den nächsten Sonntag, und zwar morgens um 9:30 Uhr einen Termin. Glücklich stimmte mich der Termin nicht gerade, da ich auch gerne einmal einen Sonntag ausschlafe aber der Kater ging jetzt vor. Pünktlich war ich am verabredeten Friedhofseingang mit einem extrem großen Transportkorb bewaffnet, da die Dame mir versichert hatte, sie könne den Kater anfassen, hochheben und so mit mir gemeinsam in den Korb befördern. Wer nicht da war, war die Dame. Ich wartete noch einige Minuten und rief sie dann an, wobei sie mir nun zunächst erklärte, wir wären für 9:30 Uhr verabredet, jetzt wäre es erst 8:30 Uhr. Tja, so mancher hat ja Probleme mit der Sommerzeit, so nahm ich ihr dies nicht weiter übel. Sie meinte, sie wohne gegenüber ein paar Häuser weiter, wäre noch nicht angezogen und hätte nasses Haar, ich solle zu ihr kommen. Nun gut, sagte ich, dann springen sie in die Kleider und wickeln sich ein Kopftuch um, ich komme zu Ihnen. Ich schleppte also den Transportkorb die Aachener Straße hoch zu der älteren Dame. Nach meinem Klingeln rief sie runter, sie sei fertig und käme. Den Weg hatte ich also umsonst gemacht und marschierte mit ihr wieder zurück zum Friedhof.
Dort angekommen teilte sie mir noch eilig mit, hier entlang und dort hinüber, bleiben sie am besten hier stehen, ich geh ihn suchen ..... „da ist er“ hörte ich sie noch rufen und sah wie sie zwischen den hohen Grabsteinen verschwand.
Ich ging noch ein paar Schritte und entdeckte die Futterstelle, an der sie ihren Beutel hinterlassen hatte. Ich stellte meine Box ab und versuchte nun auszumachen wo die Gute verblieben war. Nichts war zu sehen und zu hören. Die Zeit verging und sie kam nicht wieder, dafür kam ein schwarzer Kater mit ehemals weißen Beinen, der das Elend persönlich zu sein schien. Er kam fast aus der Richtung, in die die Dame verschwunden war und ging zielstrebig an mir vorbei zur Futterstelle. Aus seinem Mäulchen hingen lange dicke Schleimfäden, sein Fell war struppig und zerzaust, er war extrem abgemagert. Es konnte sich nur um das Tier handeln, wegen dem ich gekommen war.
Der Kater ging zur Futterstelle und schnupperte ein wenig an den Näpfen und ließ sich dann im Gebüsch nieder. Ich nahm dies zum Anlass die Vermutung zu hegen, dass sich nun auch bald wieder „meine“ alte Dame einfinden würde. Dies stellte sich alsbald als falsch heraus. Ich lief ein wenig herum, rief auch nach Ihr, was den Unmut anderer Friedhofsbesucher auf sich zog und stellte des weiteren fest, dass ich an manchen Stellen doch ein wenig sehr in die frisch bepflanzte Erde einsank.
So ging ich also zurück zum Kater, setzte mich hin und redete mit ihm. Ich kam bis auf ca. 2,0 m an ihn heran, näher ließ er es nicht zu, dann verzog er sich. Ich verharrte fast 45 Minuten mit ihm an der Futterstelle. Die Zeit verging und ich wurde allmählich wütend, zumal inzwischen auch der Beutel der guten Frau verschwunden war. Ich rief bei ihr an, es nahm keiner ab. Ich ging zu ihr nach Hause, es öffnete keiner. Voller Wut verließ ich den Friedhof da ich alleine nichts ausrichten konnte.
Im weiteren Tagesverlauf versuchte ich immer wieder sie telefonisch zu erreichen und machte mir schon langsam Sorgen, sie war ja auch nicht mehr die jüngste, vielleicht lag sie ja hilflos zwischen den Gräbern und ich war einfach gegangen, hatte sie im Stich gelassen. Am frühen abend erreichte ich sie. Sie schrie mich an, ich wäre abgehauen, sie wäre mit dem Kater auf dem Arm auf der Suche nach mir gewesen, sie schrie alles mögliche bevor sie den Hörer aufknallte. Ihr Verhalten ordnete ich in die Kategorie „Altersschwachsinn“ ein und überlegte, wie dem Tier nun weiter zu helfen sei. Über Umwege gelangte ich dann an eine weitere Dame die jeden morgen auf Melaten füttert, und zwar nicht nur an einer Stelle, sondern alle Futterstellen abfuhr.
Frau Reimer kannte die alte Dame und hatte bereits ähnliche Erfahrungen mit ihr gemacht, so dass wir uns verabredeten. Da sich der Kater von Frau Reimer nicht anfassen ließ und Frau Reimer auch bezweifelte, dass besagte alte Dame dies jemals gekonnt habe, nahm ich die Falle mit und stellte diese auf. Der Kater dachte jedoch nicht daran, sich diese auch nur aus der Nähe anzusehen. Also wurde für den übernächsten Tag ein neuer Termin gemacht und ich war mit unserer Sabine Schlünz am frühen Morgen auf dem Friedhof. Auch diesmal sahen wir den Kater und auch diesmal dachte er nicht daran in die Falle zu gehen.
Nach weiteren 3 Tagen fuhr ich nach der Arbeit mit Elisabeth Bundt zum Friedhof. Dort wollten wir uns mit Frau Loosen treffen, die nachmittags immer an einer ganz anderen Stelle dem Kater begegnet. Frau Loosen konnte ihn tatsächlich streicheln, er ließ ihr sogar regelrecht hinterher, hochheben jedoch ließ er sich nicht. Wir waren wieder mit unserem großen Katzenkennel bewaffnet und Elisabeth Bundt saß 1 ½ Stunden mit den Damen auf der Friedhofsbank bis der Kater kam. Er sah jetzt noch schlimmer aus als vor einer Woche. Nach einiger Zeit kam er aufgrund des guten Zuredens von Frau Loosen immer näher und ließ sich dann unweit der Bank mit dem Rücken zu Elisabeth Bundt nieder.
Diese nahm die Chance war und schlich sich von hinten heran. Es war Totenstille inmitten der Gräber und Elisabeth näherte sich und näherte sich bis sie ihre Hand genau über ihm hatte und genau in dem Augenblick als sie zugriff rannte er davon. Sie hatte nichts falsch gemacht, er war einfach instinktsicher und spürte die „Gefahr“ von hinten.
Nun war uns klar, in die Falle geht er nicht und eine zweite Chance ihn mit der Hand zu fangen, würde er uns nicht einräumen jedoch hatten wir ihn noch lange nicht aufgegeben.
Sabine Schlünz besorgte einen Kescher, der groß genug für 8 kg-Fische war und wir versuchten nach einigen Tagen unser Glück aufs neue, jedoch bekamen wir den Kater nicht zu sehen und befürchteten schon, er wäre nun so krank, dass er gar nicht mehr auftauchen würde.Dann rief Donnerstags Frau Loosen an und teilte mit: „er ist wieder da„ so dass ich für Freitag Spätnachmittags wieder eine Treffen mit ihr vereinbarte.
Ed Helmecke und ich trafen uns diesmal, wieder mit Kescher und großem Transportkorb bewaffnet mit Frau Loosen und wir warteten und warteten und dachten schon er kommt nicht, als wir ihn sahen. Frau Loosen lockte ihn immer näher heran und lenkte ihn mit ab, während ich mich von hinten immer wieder an ihn heranschlich. Es stellte sich durch die Büsche und Gräber als schwierig heraus nah genug an ihn heranzukommen um ihn fangen zu können, zumal er mit der Zeit immer misstrauischer wurde und er sich wieder entfernte. Frau Loosen redetet und redete und redete immer weiter mit ihm und ich umkreiste die beiden mit dem Kescher während Ed versuchte so nah bei uns zu bleiben, dass er sofort zur Stelle war und gleichzeitig so weit weg zu bleiben, dass er die Aktion nicht störte. Immer wieder verschwand der Kater in den Büschen und hinter den Gräbern, immer wieder umrundete ich die einzelnen Grabreihen und versuchte lautlos und unbemerkt an ihn heranzukommen. Wir gaben uns alle Mühe keine größeren Flurschäden an Flora und Fauna zu hinterlassen und hatten inzwischen die volle Aufmerksamkeit aller Friedhofsbesucher. Es war fast eine Stunde vergangen und ich fragte mich allmählich ob die Sache noch Sinn macht und ob Frau Loosen nicht bald heiser werden würde. Sie war ungemein geschickt darin mit ihm zu reden und mir gleichzeitig mitzuteilen „ja da sitzt der Blacky ja, hinter dem großen weißen Grabstein, direkt neben dem Engelchen mit Grünspan und sieht mich groß an“ wo genau er sich befindet.
Dann sah ich ihn zusammengekauert direkt vor einigen Büschen liegen und schlich zwischen Grabstein und Baum hindurch und dachte nur noch „jetzt oder nie“, und warf den Kescher über ihn, traf, sah er ist gefangen und warf mich auf den Kescher mit dem Kater, damit er nicht mehr entweichen kann, gleichzeitig schrie ich so laut es ging nach Ed, der aber bereits angerannt kam und den Kennel öffnete.
Jetzt ging die Sache erst richtig los. Er drehte sich in dem Netz wie ein wildgewordener Kreisel und verfing sich derart, dass ich dachte wir müssen ihn rausschneiden. Mit letzter Anstrengung hob ich den Kater samt Kescher über die Kennelöffnung, griff von unten in den Kescher und zog eine kleine Lücke auf, so dass es mir dann mit Ed gelang ihn wirklich regelrecht aus dem Netz zu pellen. Er hatte sich so verstrickt, dass er keine Pfote mehr rühren konnte.
Als er endlich in der Box war und wir ihn mit einer großen Decke abgedunkelt hatten, waren meine ersten Worte: „So fange ich nie nie wieder“. Ich war fix und fertig. Ed war wie immer die Ruhe in Person. Mit zitternden Händen griff ich zu meinem Handy (es waren inzwischen 18,50 Uhr) und rief bei unserer Tierärztin Dr. Degen an und bat diese eindringlich auf uns zu warten. Wir rannten los und schafften es tatsächlich 10 Minuten später dort zu sein, wobei ich unterwegs Ed immer wieder bat in den Kennel zu sehen ob Blacky auch wirklich in Ordnung sei. Angekommen bei Dr. Degen blieb zum Luftholen keine Zeit denn es gab keine Möglichkeit ihn zu untersuchen, er gebärdete sich spuckewild und fauchte und schlug um sich. Eine Untersuchung war nur mit einer Beruhigungsspritze möglich, und die konnten wir nur geben, indem wir den Kater samt Kennel immer wieder drehten und in der Luft kippten bis er endlich auf dem Gitter zu liegen kam, so dass Dr. Degen die Spritze von außen setzen konnte. Die Untersuchung ergab, dass er außer Zecken, Flöhen und Läusen natürlich unkastriert war, die Zähne waren in einem schlimmen Zustand und er hatte Rachenseuche. Der ganze Hals und Rachenbereich waren entzündet, so konnte er wirklich nicht mehr fressen. Dr. Degen gab ihm mehrere Spritzen und entnahm Blut für eine Untersuchung, die glücklicherweise keine weiteren Befunde ergab. Unter anderem bekam er ein Cortisondepot, das gegen die Rachenentzündung wirkt und für ca. 14 Tage anhält.
Wir hatten uns schon fast mit dem Gedanken abgefunden, dass Blacky keine Chance mehr hat und eingeschläfert werden muss, jedoch sahen wir letztendlich davon ab, da die Möglichkeit bestand, dass er bei regelmäßiger Weitergabe von Cortison mit dem täglichen Futter, eine gewisse Lebensqualität behalten würde und ihn die Cortisontabletten buchstäblich „am fressen halten würden“. Diese Chance sollte er auf alle Fälle bekommen.
Er blieb einige Wochen bei unserer Elke Bovi, wurde von allem Ungeziefer befreit, kastriert und nochmals mit Cortison nachgespritzt. Zusätzlich erhielt er täglich seine Tabletten, die er im Futter problemlos zu sich nahm. Er hörte auf zu sabbern, fraß gut und war auch wieder in der Lage, sich selbst zu putzen und zu säubern. Wir waren alle ausgesprochen froh und glücklich über diese Entwicklung, da sie uns in unserer Entscheidung, ihn hochzupäppeln bestätigte.
Die Hoffnung, dass er sich in einem geschlossenem Raum unter der Obhut von Menschen so akklimatisiert, dass er in eine Wohnung vermittelt werden könnte erwies sich jedoch schnell als absurd. Blacky ließ sich zwar auf dem Friedhof von Frau Loosen streicheln (und zwar von sonst niemandem, wie sich herausgestellt hatte) aber es war kein Denken daran, dass jemals ein anderer ihn würde bändigen können. Für Elke Bovi stellte die regelmäßige Reinigung der Quarantänebox und die tägliche Futtergabe einen Reaktionstest ihrer Schnelligkeit und ihrer Nerven dar. Wir konnten uns kaum erinnern, wann wir jemals eine wildere Katze in der Box gehabt hatten, wenn sie die Katzentoilette säubern wollte, so musste sie den Kater mit einem Holzbrett davon abhalten sich direkt auf sie zu stürzen. Je besser es ihm ging, desto wilder und unberechenbarer wurde Blacky. Nach 3 Wochen entschieden wir uns, ihn zu seiner Futterstelle auf dem Friedhof Melaten zurückzubringen, da jedes weitere Verweilen in unserer Obhut für ihn nur Stress bedeutete und er unglücklich war.
Ed und Eva holten Blacky bei Elke ab und erlebten ein Umsetzen des Katers von der Box in einen Überlaufkasten der besonderen Art. Eva berichtete, dass sie durch die geschlossene Türe hindurch sein Toben hören konnte und dachte, er reiße die Box samt Überlaufkasten auseinander.
Blacky wurde wieder an dem Rondell freigelassen, an dem er immer nachmittags aufgetaucht war. Das war das letzte Mal, dass er diese Stelle betrat, er mied sie von da ab wie die Pest und wurde seither nur noch von Frau Reimer an den anderen Futterstellen gesehen. Frau Loosen, die liebe Dame, die ihn immer streicheln konnte, sah ihn nie mehr.
Frau Reimer ist seitdem Tag für Tag bemüht ihm seine Tabletten mit dem Futter zu verabreichen. In der Regel gelingt es ihr; frisst er an einigen Tagen nichts oder schlecht und erhält seine Tablette deswegen nicht, so geht es ihm nicht gut. Dann bekommt er sobald er wieder Nahrung aufnimmt 2 Tabletten bis sein Zustand wieder halbwegs stabil ist. Die Sorge um ihn hielt an.
Es gab Zeiten an denen er nicht sabbert, gut fraß und auch besser aussah.
Einige Monate später es wieder so schlecht, dass Frau Reimer um Hilfe bat und meinte, wir müssen ihn wieder einfangen. Ein erneuten Fangen bedeutete jedoch, vorausgesetzt, dass wir es jemals wieder schaffen würden, dass er nicht mehr zurückkehren wird zu seinem Friedhof.
Wir wünschten uns alle, dass dieser Tag nie kommen wird, wussten aber, dass es seines Tages so weit sein würde.
An schlechten Tagen kauerte er unglücklich unter einem Busch und blickte mit traurigen Augen in die Welt.
An schönen Tagen fraß er gut und lief in seiner Katzengruppe mit.
An schlechten Tagen konnte er nichts mehr zu sich nehmen und suchte Wärme bei seiner Katzenfreundin.
An schönen Tagen lag er in der Sonne und genoss die Wärme auf seinem Fell.
Was für ein Tag würde wohl sein letzter sein ?
Nachtrag:
Sein letzter Tag war ein wunderschöner Sommertag.
Am Morgen des 1. August 2001 fand Frau Reimer ihn tot auf einem Friedhofsweg in der Nähe seiner Futterstelle.
Gabriela Kelterbaum - 2000